Sozialdarwinismus

Sozialdarwinismus
So|zi|al|dar|wi|nis|mus, der:
soziologische Theorie, die darwinistische Prinzipien auf die menschliche Gesellschaft überträgt u. so bestimmte (von anderen als ungerecht empfundene) soziale Ungleichheiten o. Ä. als naturgegeben gerechtfertigt erscheinen lässt.

* * *

I
Sozialdarwinismus,
 
Sammelbegriff für die an C. Darwins Evolutionstheorie (Darwinismus) orientierten sozialwissenschaftlichen Theorien, die die von Darwin angenommenen Prinzipien der biologischen Evolution wie Auslese, Kampf ums Dasein, Anpassung an die Umwelt und Vererbbarkeit erlernter Fähigkeiten auf den sozialen Bereich übertragen. Dementsprechend werden sozialgeschichtliche Entwicklungen als Auslese- und Anpassungsprozesse verstanden, in denen durch konflikthafte Auseinandersetzungen soziale Hierarchien entstehen, die von den sozial Tüchtigen (Eliten) dominiert werden. Die »natürliche« Ungleichheit der Menschen erzwingt in dieser Sichtweise die Differenzierung zwischen den im Sinne der Evolution »Tauglichen« (Herrschenden) und den »weniger Tauglichen« (Untergeordneten). Ein Vorläufer dieses biologistischen Gesellschaftsmodells findet sich bei T. R. Malthus (»An essay on the principle of population«, 1798; deutsch »Versuch über das Bevölkerungsgesetz«). In der weiteren Tradition sozialdarwinistischer Gesellschaftstheorien stehen H. Spencer, der eine Universalphilosophie der »kosmischen Evolution« entwarf und in seiner politischen Theorie Evolution und Kampf als Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens benannte, sowie L. Gumplowicz, der das Evolutionsprinzip als Auseinandersetzung der verschiedenen Völker und Rassen verstand.
 
Neben L. F. Ward wendete W. G. Sumner die Lehren des Sozialdarwinismus auf die USA an. Er übertrug die spencersche Analogie von biologischem Überlebenskampf und gesellschaftlichen Konflikten auf die Mechanismen der ökonomischen und sozialen Selektion der kapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft, die er als Naturgesetze auffasste, und lieferte damit die universale Legitimation für die Tycoons der amerikanischen Finanzoligarchie.
 
Sozialdarwinistische Vorstellungen bilden eine zentrale Grundlage des im Anschluss an J. A. de Gobineau im 19. und 20. Jahrhundert in Erscheinung tretenden Rassismus und Antisemitismus; so übernahm die Rassenideologie des Nationalsozialismus anthropologische und »rassenhygien.« Elemente des Sozialdarwinismus zur Rechtfertigung eines arischen Rassenprimats und der Eliminierung »rassenfremder« Bevölkerungsgruppen. Der rassistisch ausgelegte Sozialdarwinismus liefert bis in die Gegenwart propagandistisch verwertbare Argumente, um einen vorgestellten Selbstbehauptungskampf von »Volk« und »Rasse« um »Lebensraum« zu rechtfertigen. Einige Ansätze des Sozialdarwinismus, verknüpft mit Gesichtspunkten aus der Ökologie, treten auch im Rahmen der Ideologien der »neuen Rechten« auf und werden hier u. a. dazu benutzt, fremdenfeindliche Einstellungen zu begründen.
 
 
R. Hofstadter: Social Darwinism in American thought (Neuausg. Boston, Mass., 1973);
 H. W. Koch: Der S. Seine Genese u. sein Einfluß auf das imperialist. Denken (1973);
 G. Jones: Social Darwinism and English thought (Brighton 1980);
 P. E. Becker: Wege ins Dritte Reich, Bd. 2: S., Rassismus, Antisemitismus u. völk. Gedanke (1990);
 J. Sandmann: Der Bruch mit der humanitären Tradition. Die Biologisierung der Ethik bei Ernst Haeckel u. anderen Darwinisten seiner Zeit (1990);
 M. Hawkins: Social Darwinism in European and American thought, 1860-1945 (Cambridge 1997);
 M. Vogt: S. Wissenschaftstheorie, polit. u. theologisch-eth. Aspekte der Evolutionstheorie (1997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
menschliches Verhalten im Spannungsfeld von Natur und Kultur
 
II
Sozialdarwinismus,
 
Auslese.

* * *

So|zi|al|dar|wi|nis|mus, der: soziologische Theorie, die darwinistische Prinzipien auf die menschliche Gesellschaft überträgt u. so bestimmte (von anderen als ungerecht empfundene) soziale Ungleichheiten o. Ä. als naturgegeben gerechtfertigt erscheinen lässt.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sozialdarwinismus — ist eine sozialwissenschaftliche Theorierichtung,[1] die einen biologistischen Determinismus vertritt. Sie war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr populär. Sie wendet Teilaspekte der Evolutionstheorie nach Charles Darwin auf… …   Deutsch Wikipedia

  • Sozialdarwinismus — Bezeichnung für eine soziologische Erklärung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung, nach der sich im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wettbewerb nur derjenige durchsetzen kann, der mit den sich ändernden Umweltbedingungen… …   Lexikon der Economics

  • Sozialdarwinismus — So|zi|al|dar|wi|nis|mus der; : soziologische Theorie, die unter Berufung auf Charles Darwins Lehre von der natürlichen Auslese auch die menschliche Gesellschaft als den Naturgesetzen unterworfen begreift u. somit Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten …   Das große Fremdwörterbuch

  • Survival of the Fittest — ⇡ Sozialdarwinismus …   Lexikon der Economics

  • Geschichtsdarwinismus — Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite des Portals Soziologie eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel aus dem Themengebiet Soziologie auf ein akzeptables Niveau zu bringen. Hilf mit, die inhaltlichen Mängel dieses… …   Deutsch Wikipedia

  • Sozialdarwinist — Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite des Portals Soziologie eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel aus dem Themengebiet Soziologie auf ein akzeptables Niveau zu bringen. Hilf mit, die inhaltlichen Mängel dieses… …   Deutsch Wikipedia

  • Ernst Häckel — Ernst Haeckel Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (* 16. Februar 1834 in Potsdam; † 9. August 1919 in Jena) war ein deutscher Zoologe, Philosoph und Freidenker, der die Arbeiten von Charles Darwin in Deutschland bekannt machte und zu einer …   Deutsch Wikipedia

  • Ernst Haeckel — Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (* 16. Februar 1834 in Potsdam; † 9. August 1919 in Jena) war ein deutscher Zoologe, Philosoph und Freidenker, der die Arbeiten von Charles Darwin in Deutschland bekann …   Deutsch Wikipedia

  • Armut in der Schweiz — Armut bezeichnet primär den Mangel[1] an lebenswichtigen Gütern (beispielsweise Essen, Obdach, Kleidung), im weiteren und übertragenen (metaphorischen) Sinn allgemein einen Mangel (beispielsweise wird ein Landstrich als tierarm, ein Mensch als… …   Deutsch Wikipedia

  • Armutsbekämpfung — Armut bezeichnet primär den Mangel[1] an lebenswichtigen Gütern (beispielsweise Essen, Obdach, Kleidung), im weiteren und übertragenen (metaphorischen) Sinn allgemein einen Mangel (beispielsweise wird ein Landstrich als tierarm, ein Mensch als… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”